Mittwoch, 23. Februar 2011

Geschichten aus der Hölle .......................................................................3

Paradiesische Momente

1971
Meta – Norddeich
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„Meta ist Name. Meta ist spirituell. Meta ist Dimension.“
Andreas schaute auf den See, freute sich über die Aussicht vom Dach einer kleinen Datscha, die vom Eigentümer ohne das Wissen der Behörden gebaut worden war. Er nahm einen tiefen Zug von einem Joint, dass ihm die Lungen barsten.
„Meta ist ein absolutes Muss.“
Nach einem weiteren Zug gab er die Zigarette an Serge weiter. Sein Körper verwandelte sich in eine Orange, wurde größer und nahm die Ausmaße eines Balls an. Als der Joint ihn wieder erreichte, rauchte Mond-Andreas – so nannte er sich beim Kiffen – und fing an zu kichern.
„Wenn sich der Vollmond im Wasser spiegelt,“ fragte er Serge, „weiß dann die Spiegelung, ob sie, wenn Wolken aufziehen, ebenfalls verschwinden muss oder beginnt die Mondspiegelung ein eigenes Leben?“
„Natürlich,“ sagte Serge, „ist eine Spiegelung als solches nicht determiniert. Da Spiegelungen jedoch vor zweitausend Jahren von einem unbekannten ägyptischen Pharao in der dekadenten Hapschiphase fixiert worden sind, müssen sie sich zwangsweise dekonditionieren, bevor sie den Anker in den Untiefen des Gewässers lösen und spielerisch in deiner Sandkiste versinken, um alte Traumata zu durchdringen.“
Serge lachte , nahm einen Shitbrocken aus dem Tabaksbeutel, entfernte die Aluminiumfolie und sog den Geruch tief ein.
„Ich finde, wir sollten unsere Füße mit Hilfe der Spiegelung in Bewegung setzen,“ sagte Andreas, „bevor die nächste Hapschiphase beginnt. Der Mond ist aufgegangen und ich will zu Meta. Es ist Zeit, die Hölle zu verlassen. Lass uns aufbrechen.“
Serge wunderte sich. Sein Freund würde Ärger bekommen, wenn sie heute Abend nach Norddeich in die Disco trampen würden. Bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 50 Kilometern würden sie mehr als zweieinhalb Stunden benötigen, um dort zu sein. Dann wäre es zehn Uhr. Die Rücktour – inklusive Fußweg von der Kreuzung ins alte Himmelreich – sogar drei Stunden. Also wären sie frühestens um zwei Uhr, wenn nicht um drei Uhr morgens wieder zurück.
„Es geht nicht,“ sagte er, „du musst pünktlich um elf Zuhause sein.“
„Nein,“ antwortete Andreas entschlossen, „heute nicht. Ich will nach Meta. Und was willst du?“
***
Die beiden hatten Glück. Kaum standen sie an der Kreuzung, hielt ein Opel Commodore an und nahm sie bis nach Wittmund mit. Das nächste Auto, ein Mini-Cooper mit einer kraftvollen Stereoanlage, brachte sie bis nach Aurich, und schon das dritte Auto, ein buntbemalter VW-Bus, wollte zu Meta. Andreas schätze die Fahrerin auf dreiundzwanzig Jahre. Irgendwie war sie sympathisch, obwohl im Wagen alles nach Patchouli roch.
„Wie heißt Du?“ fragte er, „ich bin Andreas und der gute Mensch zwischen uns ist Serge, der Käufer.“
Ihre Fahrerin grinste. „Ich bin Luna. Früher hieß ich Kriemhild, schrecklich, nicht wahr, was haben sich meine Eltern nur dabei gedacht; also habe mir den Namen „Luna“ gegeben. Okay?“
Andreas holte seine Kamera, eine Practica LLC, aus der Tasche, machte ein paar Aufnahmen von Luna, die ihn mit ihren langen, gelockten braunen Haaren an Marsha Hunt erinnerte. Und dann, ohne zu fragen, legte er seine Lieblingskassette in den Rekorder. Bei „Riders on the Storm“ fuhr Luna auf einen Parkplatz, stieg aus, ging um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür, legte die Arme um Andreas Schultern, zog ihn an sich und küsste ihn solange, bis das Stück zu Ende war. Dann fuhren sie zusammen weiter; diesmal saß Serge an der Außenseite.
Serge fand, als sie um neun Uhr in Norddeich ankamen, dass es zu früh für Meta sei. Luna schüttelte den Kopf, und Andreas, der zum ersten Mal bei Meta war, stürmte auf die Tanzfläche, als „Old King Cole“ seine „Musical Box“ öffnete. Auch Luna begann zu tanzen. Die beiden gingen von der Tanzfläche, als es kurz vor elf Uhr war.
„Komm, lass uns nach draußen gehen,“ sagte Luna. Hand in Hand gingen die beiden durch den Ort. Als es elf Uhr war, kicherte Andreas. Er dachte an seinen Vater, der gleich einen Tobsuchtsanfall bekam. Doch er, sein Opfer, würde nicht da sein. Für Andreas war sein Vorgehen ziemlich einfach. Stress würde er auf alle Fälle bekommen, egal ob er zwei oder drei Minuten, eine Stunde oder fünf Stunden zu spät kommen würde. Da sich der Zorn seines Vaters nicht steigern ließ, hatte Andreas geschlussfolgert, in dieser Nacht zu tun, was er tun wollte. Er knabberte an Lunas Ohrläppchen.
„Ich will mit dir schlafen,“ flüsterte er in ihr linkes Ohr, „jetzt, gleich. Ich will.“ Mit seinen Armen zog er Luna an sich.
Luna genoss es, ihn zu spüren und dann küssten sie sich wieder, bis sie keinen Atem mehr hatten.
„Ich will rennen,“ flüsterte sie. Die beiden stürmten los, kletterten über einen Zaun und erreichten das Meer. Ein wenig später fanden sie einen Platz, an dem sie ungestört ihre Lust genießen konnten.
Das war die erste Nacht, in der Andreas eine Vorstellung vom Paradies bekam.

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