Mittwoch, 9. Februar 2011

Danae, Miriam und Janto ........................................................................10

Big Spender


Warum er die Kraft hatte, nach zwei Stunden Schlaf konzeptionell zu denken, verstand Janto nicht, weil es ihm vor seiner Freundschaft mit Danae anders ging, doch an diesem Morgen fühlte er sich noch frischer als sonst, er kam sich vor wie neugeboren. Die tantrischen Nächte waren ein Durchbruch zu einer unbekannten Seite seines Leben. Gerne hätte er sich mit der spirituellen Dimension hinter dem vordergründigen Geschehen beschäftigt, doch die Zeit und die Ideen drängten ihn, sich an das Notebook zu setzen, ohne Meditation, ohne Frühstück und ohne Trinken. Schon seit Wochen wartete er auf eine Inspiration für eine ausgefallene PR-Kampagne, die einen Film weltweit bekannt machen sollte, ohne dass die eigentliche Produktion begonnen hatte. Sein Auftraggeber, die „Khaju-Group Inc.“ war ein junges Unternehmen von drei Freunden, die im exklusiven Geschäft der Telekommunikation innerhalb von vierzehn Jahren steinreich geworden waren. Jetzt sollte eine Phantasiereise, die Geschichte eines weiteren Freundes über Khajuraho, einem tantrischen Tempel in Indien, von einem erfahrenen Team filmisch umgesetzt werden.
Die Idee war genial und einfach zugleich. Die Khaju-Group würde im ersten Schritt junge Menschen aus der ganzen Welt einladen, in Khajuraho zu meditieren. Ein Reportageteam würde das Event behutsam begleiten und das Material für Fernsehstationen, Nachrichtensender, Printmedien und für das Internet aufbereiten. Die Teilnehmer würden zunächst im „Netz“ von der Meditation in Khaju erfahren, dann würden sie einen Fragebogen online zu Sexualität, Freundschaft, Liebe und Spiritualität ausfüllen, um in eine engere Auswahl zu kommen, und und und. Die weiteren Modifikationen würden ihm mit der Zeit einfallen, aber die Grundidee gefiel ihm. Der finanzielle Rahmen würde sein Budget nicht überschreiten, das hatte er im Gefühl, auch wenn er die Zahlen erst später konkretisieren würde.
Kaum war er fertig mit dem Mindmapping fertig, öffnete Miriam die Tür. „Daran werde ich mich wohl gewöhnen müssen,“ dachte sich Janto, „aber ein paar Spielregeln wären nicht schlecht.“

***
„Hallo Vater,“ sagte Miriam und küsste ihn zur Begrüßung auf die Wangen, einmal links, einmal rechts und wieder links, so, wie es in Frankreich in der Familie und unter Freunden üblich ist. „Komm mal mit runter, ich habe uns etwas mitgebracht. Oder wollen wir erst frühstücken?“
„Dauert es lange?“ Janto war müde und hungrig zugleich. Bewegung würde ihn fit machen, aber ein Müsli mit Orangensaft, ein guter Kaffee, ein paar Brötchen und ein Ei würden ihm gut tun. Außerdem brauchte er Zeit, um Miriam kennenzulernen.
Während des Frühstücks erzählte Miriam ihren Plan. „Wir können viel miteinander reden, das liebe ich, Geschichten hören und Geschichten erzählen, Fragen stellen. Magst du das auch?“
Janto nickte und hörte weiter zu.
„Am liebsten würde ich die „Dynamische“ mit dir machen. Jeden Morgen. Und wenn wir keine Lust mehr auf diesen Prozess haben, machen wir abends die „Kundalini“ zusammen. Ich brauch jetzt was Deftiges.“
Janto wusste, was Miriam meinte. Sie sprach nicht von Sommersalami, Bierschinken oder Schweinebraten, auch nicht von „Ham And Eggs“, sie sprach über ihre Gefühle. Er war sich sehr gewiss, dass sich allerhand bei Miriam angestaut hat, freute sich aber, dass sie ihm nicht das Porzellan zerschlug, sondern einen weisen Weg wählte, um zu sich zu kommen.
„Und was könnte es für dich bedeuten?“
Menschen, die Gedankenlesen konnten, waren Janto vertraut, dass Miriam es auch beherrschte, irritierte ihn. „Ich lasse es an mich herankommen, schließlich bist du meine Tochter.“
„Kannst du es dir vorstellen, dass du es für dich tust – und nicht wohlwollend für mich?“ Miriam schmollte. „Ich will, dass du dich deinen Gefühlen stellst. Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, was damals passiert ist. Hast du meine Mutter vergewaltigt?“
Janto liebte Fahrstuhlfahren. Am liebsten mochte er, wenn er alleine war, alle Knöpfe zu drücken, mit dem Fahrstuhl rauf und runter fahren. Manchmal testete er die Reaktion seiner Mitmenschen, wenn der Fahrstuhl nicht dorthin fuhr, wohin sie wollten. Doch wenn ein anderer Mensch seine Knöpfe drückte, dann wurde er stinkig. Miriam erinnerte ihn an die Mutter seines erwachsenen Sohnes. Er hatte niemals herausgefunden, warum sie bei ihm Knöpfe drücken konnte und warum sie es tat, wenn er andere Pläne hatte. Natürlich hatte er Heike nicht vergewaltigt; er hatte sie um Erlaubnis gefragt, ob er mit ihr schlafen durfte, jedoch war sie leicht benommen vom Alkohol, vielleicht hatte sie schon geschlafen. Er wusste es damals nicht, wie sollte er es heute wissen?
„Nein.“ Kurz und bündig. Keine Rechtfertigung.
„Warst du in sie verliebt?“
„Nein.“
„Hast du um sie geworben?“
„Nein. Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich bin nie aufgeklärt worden.“
„Ich will keine Rechtfertigung von dir. Ich will ehrliche Antworten, das kannst du doch wohl aushalten. Hast du sie gemocht?“
„Ich weiß es nicht mehr so genau.“
„Du weißt es wohl.“
„Ich war geil, ehrlich gesagt. Heike hat Sex mit den anderen gehabt.“
„Und deswegen dachtest du, sie sei Allgemeingut? Die Betriebshure?“
„Sei vorsichtig mit deinen Worten. Du tust mir weh, auch wenn du Recht hast.“

***
Das Frühstück schmeckte Janto dennoch. Miriam hatte nur den Kopf geschüttelt und sagte: „Wie gut, dass du ehrlich bist. So kann ich besser mit den Informationen arbeiten, Mister Big Spender. Du hast deinen Samen gespendet, deine Emotionen waren kümmerlich. Du hast dich dich wie ein Bettler verhalten, beim Eindringen, oder beim Anklopfen, dass kannst du mir noch genauer erklären. Ich möchte Heilung, und das können wir nur zusammen schaffen. Du kümmerst dich um deine armselige Vergangenheit, und ich sehe zu, wie ich einen richtigen Vater bekomme.“
Jantos Kopf war rot geworden. Miriam hatte Recht, er hatte eine armselige Vergangenheit. Mit neun Jahren hatte er seiner Cousine das Unterhöschen heruntergezogen, weil er nicht wusste, wie weibliche Wesen zwischen den Beinen aussehen. Sie hatte laut geschrien, oh, was war das peinlich. Als sie neun Jahre alt war, hatte er sie zu einem Theaterstück eingeladen, er hatte sich in einem großen Schrank versteckt, sich ausgezogen und kam mit einem „Steifen“ wieder heraus. Von dreizehn bis neunzehn hatte er sich sehnlichst gewünscht, Gebrauch von seiner Männlichkeit, seinem interessantesten Stück zu machen, doch es ergab sich nicht die Gelegenheit, weder mit einer Angestellten seines Vaters, deren Brüste er streicheln durfte, irgendwie, aber mehr nicht, noch mit den vielen Mädels, die er geküsst hatte, sei es in einem Camp, bei einer Hochzeit von Verwandten, in der Tanzschule, auf einer Fete, einem Marathontanz in einer Disco, noch mit seiner ersten Jugendfreundin, noch mit seiner ersten Jugendliebe. Er hatte nicht nur einen Knacks weg, er hatte eine Tragödie erlebt; mit seinem Vater, mit seiner Mutter, mit seinen Schulkameraden. Miriam forderte ein, das war okay. Janto war bereit, in seine Vergangenheit zu springen.
„Und jetzt holen wir die Köfferchen,“ sagte Miriam, „ich habe uns etwas zum Verkleiden mitgebracht. Kostüme von Freiern und Huren, von Bettlern und Mönchen, von Kaisern und Prinzessinnen. Ich schlage vor, nach jeder Phase der „Dynamischen“ machen wir eine kleine Unterbrechung, um uns etwas Neues auszusuchen. Vielleicht nimmst du für den Anfang eine schwarz-rote Corsage und ich ziehe mich als Offizier an?“
Das Lachen konnte sich Janto nicht verkneifen. Humor hatte seine Tochter, auch wenn es Galgenhumor war.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen