Donnerstag, 10. Februar 2011

Danae, Miriam und Janto .......................................................................11

Maria, Maria

„Wir können es tun,“ sagte Janto, als alle Koffer in seiner Wohnung waren, „doch jetzt geht es nicht. Ich bin zu müde für die Dynamische und ich habe in anderthalb Stunden einen wichtigen Termin.“
„Dann verschieb ihn,“ erwiderte Miriam. Sie blickte Janto wütend in die Augen. „Mit mir kannst du nicht machen, was du willst. Ich spring nicht nach deiner Pfeife. Das hast du mit meiner Mutter gemacht, nicht mit mir. Wir machen jetzt die Dynamische, ich habe das Recht darauf.“
„Meditation is your birthright,“ hatte Osho einmal gesagt, aber Janto machte sich nichts aus Sprüchen, egal, von wem sie kamen. Er ging in die Küchenzeile, suchte die Flasche, die Danae für Miriam vorbereitet hatte. Es war eine Fünf-Liter-Flasche levitiertes Wasser, eine durchsichtige Flasche, normalerweise ohne Etikett, doch Danae hatte ihren Spaß gehabt, einen originellen Aufkleber zu entwerfen. „Vine. Bachblüte für den kleinen Hausdrachen. Trinke fünf Liter täglich.“ Er stellte die Flasche zwischen sich und Miriam.
„Die ist für dich.“ Janto wartete die Reaktion von Miriam ab, dann sprach er weiter. „Du hast Recht und du kannst gerne die Dynamische oben machen. Ob ich dazu komme, und wann ich dazu komme, hast du nicht zu bestimmen. Wir können erst etwas gemeinsam machen, wenn du meine Würde siehst.“ Eigentlich wollte Janto seine Wut nicht äußern, aber jetzt hatte er es getan. Er hatte laut gesprochen, mehr gekrächzt, weil seine Stimmbänder noch von der AUM angekratzt waren.
Miriam schlug mit der Faust auf den Tisch. Eine Tasse von Jantos Lieblingsservice, ein Erbe seiner Großmutter, fiel hinunter, doch Miriam fing sie im nächsten Augenblick auf, weil sie Janto nicht verletzen wollte. Sie machte sich nichts aus Türen, um sie zuzuschlagen, sie liebte es nicht, Zuckertöpfe oder Tassen an die Wand zu schmeißen. Dennoch wurde Janto zornig. „Das geht nicht,“ rief er, „das Geschirr darf nicht kaputtgehen, selbst wenn du wütend bist, dürftest du dich soweit beherrschen können. Das Geschirr kann nichts dafür.“
„Ist die blöde Tasse wichtiger als ich?“ schrie Miriam zurück, „ich bin ein Mensch und kein Ding, das du abschieben kannst, bloß wegen einem blöden Termin. Es dreht sich um mich, nicht um Geld und um Termine. Jetzt bist du in meinem Leben, ich brauche dich Janto. Sei mein Vater, siehe das kleine Kind in mir, nicht den großen erwachsenen Körper. Ich bin gerade ein paar Monate alt, ein paar Wochen, ein paar Tage, ich weiß es nicht. Ich brauche deine Unterstützung, nicht später, – jetzt. Ich stehe unter Strom, aber ich kann nicht anders. Ich habe alles versucht, Dynamische in Poona, rauf und runter, Born again, Mystik Rose, therapeutische Sitzungen und Massagen, alles, alles, was ich tun kann. Ich habe so viel getan und doch brauche ich dich. Ein Kind braucht seinen Vater.“
Dann schwieg Miriam. Stille kehrte in den Loft ein. Nach einer Weile nahm Janto sein Xperia und verschob den Termin um zweieinhalb Stunden. „Wir gehen nach oben,“ sagte er, „aber ohne die Verkleidung. Das machen wir ein anderes Mal. Wenn du nicht meine Tochter wärest, würde ich sagen, lass uns die Dynamische nackt machen, das ist die ehrlichste Weise, um in der Welt zu sein.“
„Warum nicht,“ unterbrach ihn Miriam, „dann bist du verletzlicher und ich bin es auch. Außerdem haben wir Augenbinden auf.“ Doch weil Janto partout nicht wollte, einigten sich die beiden auf rote Roben auf nacktem Körper.
***
Diese Dynamische hatte es für beide in sich. Janto hörte, wie Miriam atmete, wie ihre Seele sich im Tempel ausbreitete, wie ihre Schmerzen schrien, wie sie weinte und wieder schrie und wieder weinte, auch wenn er in seiner Mitte blieb und sich seine Verletztheit, sich seine Wunden patriarchalischer Erziehung meldeten, spürte er, wie sein Herz berührt war, wie er empathisch wurde für dieses Wesen namens Miriam, die seine Tochter war. Sonst waren alle Menschen mit ihm im einem Raum, sie waren in ihrem Film, auch, wenn er die anderen Menschen dadurch besser fühlen konnte, Miriam hatte ihn als Vater erreicht und bewegt.
Miriams Durchbruch kam in der Stille. Sie spürte, dass sie beide zusammen etwas angingen und dass sie es schaffen würde, ganz zu werden, den Vater und die Mutter in sich zu integrieren. Miriam fühlte, wie Dankbarkeit in ihr aufstieg, Dankbarkeit, sich selbst gegenüber, Dankbarkeit für Janto, dass er sie als Tochter annahm und Dankbarkeit für Osho, der diese wunderbare Meditation geschaffen hatte und Dankbarkeit gegenüber dem Universum. „Existence, ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich,“ flüsterte Miriam lautlos, Tränen flossen leise und heiß aus ihren Augen, Tränen des alten Schmerzes, Tränen der Dankbarkeit und Tränen der Liebe. Janto verstand sie, auch ohne Worte. Der Tanz auf dem Vulkan würde zu einem neuen Anfang führen.
„Und was machen wir jetzt?“ Die Frage kam von Miriam, doch auch Janto hatte die Frage im Sinn. „Tanzen?“ Janto nickte. In seiner Plattensammlung war das Lied für diesen Moment, das einzige, was wirklich passen würde. Maria, Maria. Carlos Santana. Es gab nicht Besseres in diesem Hier und Jetzt. Miriam stellte den Player spontan auf „Repeat“, und dann tanzten sie, Vater und Tochter, Tochter und Vater, zwei Menschen, die Lust auf das Leben hatten, und Wege fanden, sich auszudrücken.
Nach der zweiten Wiederholung wollte Miriam stoppen, doch Janto wollte das Stück noch einmal spielen lassen. Er bat sie, auf die hochgelegene Brücke zu gehen und dort zu meditieren, während er von der unteren Plattform des Tempels ihre Seele rufen würde, zusammen mit Carlos Santana, Wyclef Jean und Jerry “Wonda” Duplessis. Anschließend stellte er die Musik aus und rief, zunächst mit leiser Stimme, dann wurde er immer lauter: „Miriam, Seele, geliebte Seele, Miriam, komm in mein Leben, Miriam, Miriam, ich bitte dich, werde meine Tochter, Miriam, komm in mein Leben.“
Miriam saß auf einer Wolke. So hatte sie sich die Begegnung mit ihrem Vater nicht vorgestellt. Ihr Herz war so berührt, dass ihre Tränen flossen. Dies war der Moment, in dem sie „Ja“ sagen konnte, zu sich selbst, zu ihrem Vater, zu ihrer Mutter, egal, was passiert war, wie es passierte und warum es passiert sein mag. Miriam war angekommen.

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